Komplementäre Heilmethoden und traditionelle Anwendungen in Österreich

Präambel

Das Projekt „Erhebung der traditionellen und komplementären Heilmethoden in Österreich“ wurde im Dezember 2007 vom Bundesministerium für Gesundheit an Frau Mag. Dr. Michaela Noseck in Auftrag gegeben, um das weite Feld dieser Methoden erstmals in Österreich systematisch zu erfassen.
Die Ergebnisse der kultur- und sozialanthropologischen Studie bilden die Grundlage für die vorliegenden Informationen. Angeregt wurde das Projekt durch die Beschäftigung der UNESCO Nationalagentur für das Immaterielle Kulturerbe mit der Frage, welche traditionellen Heilmethoden in Österreich angewendet werden.
Das große öffentliche Interesse an diesem Thema, das aufgrund der vorgefundenen Situation weit über traditionelle Heilmethoden hinausging und Anbieterinnen und Anbieter von Heilmethoden, die durch den Kulturtransfer nach Österreich gelangt sind, einschloss, verlangt eine möglichst umfassende und ausgewogene Betrachtung.

Dazu wurden zunächst Schlüsselbegriffe definiert, danach erfolgte eine Bearbeitung der einzelnen Methoden bezüglich ihrer Anwendungsweise, der Motivation der Klientinnen und Klienten und diese in Anspruch zu nehmen,
der Erklärungsmodelle der Anwenderinnen und Anwender und deren berufliche und soziale Hintergründe.

Im Rahmen der Studie wurden eingehende, qualitative Interviews mit Anwenderinnen und An- wendern sowie Klientinnen und Klienten geführt,
durch teilnehmende Beobachtung eigene Erfah- rungen der Autorin integriert und darüber hinaus Literatur- sowie Internetrecherchen miteinbezogen. Weiters wurde der Stand der wissenschaftlichen Forschung durch Datenbank- recherchen und Experteninnen- und Experteninterviews abgeklärt, um in einem nächsten Schritt Überlegungen zur Patienteninnen und Patienten bzw.
Klientinnen- und Klientensicherheit anstellen zu können, und auf mögliche Wirkfaktoren zu schließen, die in Zukunft noch weiter beforscht werden können.

Die Informationen dieser Websites entstammen direkt der kultur- und sozialanthropologischen Erhebung der komplementären und traditionellen Heilmethoden in Österreich.
Sie stellen weder eine medizinische noch eine juristische Expertise dar und treffen keine Aussage zur Rechtmäßig- keit der durchgeführten Tätigkeiten im Sinne des Ärztegesetzes 1998 bzw.
der anderen Berufsgesetze für Gesundheitsberufe. Wenn im Folgenden von „Heilerinnen“ und „Heilern“ die Rede ist, so bezieht sich die Verwendung dieses Begriffes ausschließlich auf den üblichen Sprachgebrauch in der kultur- und sozialanthropologischen Literatur, die Anwenderinnen und Anwender selbst bezeichnen ihre Tätigkeit in der Regel als Hilfestellung,
Wohlfühlanwendung oder verorten ihre Arbeit im spirituellen Bereich.

Da im Vergleich zum vielfältigen komplementärmedizinischen Angebot bisher noch wenig Forschung – speziell was die Methoden betrifft – existiert, verstehen sich die vorliegenden Ergebnisse als erste Annäherung an das Thema.

 


    1. Begriffsdefinitionen

      Im Feld der Praktiken, Methoden und Anwendungen abseits der etablierten wissenschaftlichen Medizin
      herrscht eine verwirrende Vielfalt an Begrifflichkeiten vor, deren Definition meist davon abhängt, welcher der Agenten im Gebiet der Gesundheitsversorgung den Begriff verwendet.
      Es gibt anerkannte Berufsgruppen, denen eine gewisse Definitionsmacht zueigen ist und es gibt nach Anerkennung strebende Berufsgruppen, die neue Aspekte in die Diskussion rund um eine adäquate Gesundheitsvorsorge in Österreich einbringen wollen.
      Schließlich ist der Bereich der Selbstversorgung und der Hilfestellung innerhalb der Familie oder Dorfgemeinschaft in die Überlegun- gen mit einzubeziehen.

      Nehmen wir das Beispiel des Handauflegens. Wenn eine Mutter ihrem Kind die Hand auflegt, befinden wir uns auf der Ebene der familiären Hilfestellung,
      wird diese Technik im Rahmen der

      „Hilfestellung zur Erreichung einer körperlichen bzw. energetischen Ausgewogenheit“ angeboten, so handelt es sich
      um eine bezahlte Tätigkeit außerhalb der anerkannten Gesundheitsberufe.

      Wird sie von Ärztinnen und Ärzten oder Angehörigen der übrigen Gesundheitsberufe durchge- führt,
      so handeln diese zwar nicht nach den Vorgaben ihrer medizinisch-wissenschaftlichen Aus- bildung, aber es steht ihnen frei, zusätzlich eine unkonventionelle Methode anzuwenden.

      Alle drei Gruppen in diesem Beispiel wenden eine Methode an,
      die außerhalb der universitär verankerten Medizin liegt, möglicherweise ist die Bezeichnung je nach Gruppe verschieden – vorstellbar wäre die Bezeichnung „Reiki“ unter Energetikerinnen und Energetiker,
      „Therapeutic Touch“ bei den Gesundheitsberufen und keine explizite Bezeichnung gäbe es wohl in der familiären Versorgung. Es mag zwar Unterschiede in der Ausführung und theoretischen Begründung geben und die Anwenderinnen und Anwender
      selbst werden sich von anderen Berufsgruppen zu unterscheiden trachten, aber im Prinzip handelt es sich um Handauflegen. Wie sollen diese und andere Methoden nun begrifflich eingeordnet werden? Soll erkennbar sein, wer sie anwendet –

      „Volksmedizin“ für die Mutter mit ihrem Kind, „Alternativmedizin“ oder „alternative Methoden“ für die Energetikerinnen und Energetiker, die Wenderinnen und Wender oder traditionelle
      Heilerinnen und Heiler und „Komplementärmedizin“ oder „Ganzheitsmedizin“ für den Arzt oder die Krankenschwester? Oder sollte man von der Sichtweise der Klientinnen und Klienten bzw. Patientinnen und Patienten ausgehen, indem man ihre Bedürfnisse,
      Wünsche und ihr „health seeking behaviour“ zum Ausgangspunkt nimmt? Bei der Suche nach einheitlichen Definitionen wäre es angesichts der sich ständig verändernden Situation wünschenswert, von den Methoden ausgehend Überbegriffe zu formulieren und nach
      deren Merkmalen ordnend vorzugehen. Kaptchuk und Eisenberg weisen darauf hin, dass neben bestimmten Grundlagen, die das Feld der Komplementärmedizin weniger fragmentiert erscheinen lassen würden, auch eine klare Grenze fehlt, die die unkonventionelle von
      der konventionellen Medizin trennt (Kaptchuk, Eisenberg 2005: 9).

      Neben diesen Faktoren, die eine einheitliche Verwendung von Begriffen schwierig machen, ist es eine Herausforderung auf internationaler
      Ebene zu allgemein gültigen Definitionen zu kommen, da jeder Nationalstaat aus rechtlichen und historischen Gründen eine besondere Konstellation im Feld der Gesundheitsversorgung aufweist und die Übernahme von Begriffen und Konzepten daher problematisch sein kann.

      Im Folgenden werden die einzelnen Konzepte und Begriffe aus der Sicht verschiedener Autoren näher bestimmt. Zunächst wird die Suche nach
      einem Überbegriff für die vielen unterschiedlichen Verfahren und Mittel diskutiert, danach werden Begriffe, die sich eher auf die Vorgehensweisen beziehen, geklärt (z.B. rituelles Heilen, energetisches Heilen/Energiemedizin usw.).

       


      Komplementäre und alternative Medizin – KAM/CAM

      Die Abkürzung CAM steht für Complementary and Alternative
      Medicine und ist ein Sam- melbegriff, den die US- amerikanischen Bundesbehörden in ihren Publikationen verwenden, um die ganze Bandbreite von unterschiedlichen Medizinsystemen, Praktiken und Produkten zu be- zeichnen, die gegenwärtig nicht Teil der konventionellen Medizin in den USA sind.
      Das National Center for Complementary and Alternative Medicine, NCCAM, definiert komplementär- und alternativmedizinische Therapien als Behandlungen, die zusätzlich („komplementär“) oder anstatt („alternativ“) einer konventionellen Behandlung durchgeführt werden (NCCAM 2007).
      Aus historischen, kulturellen und rechtlichen Gründen werden in europäischen Staaten andere Verfahren und Produkte in die CAM eingeordnet als in den USA. So sind z.B. die Pflanzen- heilkunde, Hydrotherapien und Massagen in vielen europäischen Ländern Bestandteil der konventionellen Medizin (Pittler 2001: 464).

      Wenn die Wirksamkeit von CAM-Praktiken wissenschaftlich bestätigt werden kann, so kann sie in die Reihe der etablierten medizinischen Verfahren eingeordnet werden. Dieser Nachweis fehlt bei vielen komplementären Methoden,
      die Fragen nach der Wirksamkeit und Sicherheit dieser Therapieformen müssen erst noch mit Hilfe von Studien mit geeigneten Studiendesigns beantwortet werden. Vor allem Forschungseinrichtungen im anglophonen Raum arbeiten an einer systematischen Untersuchung der CAM.
      Ein Forschungsschwerpunkt ist dabei die Untersuchung der Wirksamkeit von Pflanzenheilmitteln bei bestimmten Beschwerden. In den USA kann außerdem noch ein Interessensschwerpunkt an Gebetsstudien festgestellt werden.
      Mit dem Begriff CAM kann daher über den Wortsinn hinaus eine Verbindung zu einem naturwissenschaftlich bestimmten Forschungszugang zu komplementären und alternativen Behandlungsformen verknüpft werden.
      Die Liste der CAM-Verfahren ändert sich ständig, da aufgrund dieser Forschungstätigkeit sichere und effektive Therapien in die konventionelle Medizin aufgenommen werden und zugleich neue CAM-Methoden dazukommen (NCCAM 2007).
      Amerikanische Forscher aus dem medizini- schen Umfeld verwenden vielleicht auch deshalb zunehmend den Begriff „integrative Medizin“ (Eisenberg 2001:448). So wird dem Umstand der Integration durch Forschung Rechnung getragen
      und die Position der Ärztinnen und Ärzte betont, welche die Kompetenz haben neue, unkonventionelle Therapieformen in die konventionelle Medizin zu integrieren und beide Ansätze zu einem Ganzen zusammenzufügen.

      Von einem Bedarf aus Sicht der Patientinnen und Patienten bzw. Klientinnen und Klienten ausge- hend, bezeichnet CAM bzw. KAM „Diagnose, Behandlung und/oder vorbeugende Maßnahmen,
      die die etablierte Medizin ergänzen und im Verein mit der sog. Schulmedizin ein Ganzes bilden, indem sie einen Bedarf befriedigen, der von der etablierten Medizin nicht abgedeckt wird, bzw. indem sie das konzeptionelle Rahmenwerk der Medizin erweitern“ (Ernst 2001: 2 zit. nach Ernst, Resch,
      Mills et al. 1995: 107-111). Um die Sicht der Patientinnen und Patienten zu veranschau- lichen lässt Eisenberg eine Krebspatientin zu Wort kommen, die ihr Überleben einer Kombination von klassischen und komplementären Therapieformen zuschreibt: „Komplementäre und alterna- tive Therapien sind diejenigen Therapien,
      für die ich in den letzten 20 Jahren selbst bezahlen musste und bei denen ich mich stets unwohl fühlte, wenn ich sie mit meinem Arzt besprochen habe.“ (Eisenberg 2001:448)

      Der Begriff „KAM“ erscheint in deutschsprachigen Publikationen eher selten, in Übersetzungen aus dem Englischen wird gerne die Bezeichnung „Naturheilverfahren“ verwendet.
      Diese Gleichsetzung ist aber ungenau, es gibt zwar gewisse Überschneidungen, aber Naturheilverfahren sind mit bestimmten Kriterien und Merkmalen verbunden, die nicht für das komplette Feld geltend gemacht werden können.
      So wird zum Beispiel in einem ins Deutsche übersetzten Buch (Ernst 2001) trotz eindeutiger Definition des Begriffes „KAM“ immer wieder auf die Bezeichnung

      „Naturheilverfahren“ zurückgegriffen, die streng genommen einen Teil der gesamten

      KAM-Verfahren darstellen und jene Methoden subsumieren, die „Naturkräfte“ zu Regulationszwecken einsetzen. Man könnte nun versuchen den Naturbegriff auszuweiten und argumentieren, dass der Begriff ebenso wie KAM verwendet werden kann,
      weil in letzter Konsequenz alles mit der Natur zu tun hat, aber darüber hinaus hat der Begriff Naturheilkunde als Bezeichnung für eine spezielle historische Bewegung eine zeitlich und örtlich gebundene Bedeutung und ist eng mit bestimmten historischen Persönlichkeiten verbunden (Jütte 1996:115-164).

       


      Alternativmedizin (Alternative Therapien)

      Alternativmedizin ist ein Überbegriff, der eine heterogene Gruppe von Überzeugungen und Prak- tiken umfasst, die sich voneinander beträchtlich unterscheiden, daher gibt es auch kein einheitliches Wissenssystem.
      Das Verbindende dieser Techniken ist, dass sie von der vorherrschenden Biomedizin getrennt zu sehen sind (Kaptchuk, Eisenberg 2005:9).

      Manchmal wird der Begriff synonym zu „CAM“,
      „Komplementärmedizin“, „unkonventionelle Therapiemethoden“ usw. verwendet. Allerdings haftet dieser Bezeichnung ein negativer Beigeschmack an, der auf fehlende Anerkennung schließen lässt. So kann man alternative Therapien von einem medizinsoziologischen Standpunkt aus betrachtet
      „…als Praktiken, die nicht als richtig, angemessen oder geeignet anerkannt werden oder nicht mit den Überzeugungen der dominierenden Gruppe der Ärzteschaft in einer Gesellschaft übereinstimmen“ (Eisenberg 2001:448) defi- nieren.
      Im Pschyrembel für Naturheilkunde und alternative Heilverfahren wird Alternativmedizin als „umstrittene und unscharfe Sammelbezeichnung für diagnostische und therapeutische Ver- fahren, die außerhalb der konventionellen Medizin stehen“ beschrieben.
      Der Begriff „suggeriert, dass diese Methoden anstatt der Schulmedizin eingesetzt werden können; überzeugende Daten zur klinischen Evaluation bezüglich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit fehlen für viele Methoden der Alternativmedizin;
      die theoretischen Erklärungsmodelle erscheinen häufig spekulativ.“ (Pschyrembel 2006:14) Es wird vorgeschlagen diesen Begriff durch Bezeichnungen zu ersetzten,

      „die es erlauben, den wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den Verwendungszweck der einge-
      setzten Methoden besser einzuschätzen“ (ebd.). Die Umsetzbarkeit dieses Vorschlags erscheint jedoch angesichts der Fülle unterschiedlicher Methoden und dahinterstehender Konzepte und wegen der verschiedenen beteiligten Akteurinnen und Akteure schwierig. Zwar lassen sich Kategorien bilden, die sich an bestimmten
      Blickwinkeln festmachen lassen, aber angesichts des sich ständig ändernden Erkenntnisstandes der Wissenschaft wären Kategorien, die dieser Forderung entsprechen, ständigen Veränderungen unterworfen, was den Überblick erheblich erschweren würde.

      Historisch gesehen können Heilweisen als alternativ betrachtet werden, wenn sie „in einer bestimmten medikalen Kultur, die selbst wiederum einem historischen Wandlungsprozess
      unterworfen ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt oder über einen längeren Zeitraum die herrschende medizinische Richtung teilweise oder völlig in Frage stellen bzw. auf eine unmittelbare und grundlegende Änderung des medizinischen Systems abzielen.
      Alternativ bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass diese Therapierichtungen von sozialen Bewegungen oder bestimmten gesellschaftlichen Gruppen getragen werden.“ (Jütte 1996:13)

       


      Komplementärmedizin

      Komplementärmedizin wird ähnlich wie die Begriffe „CAM“ und „Alternativmedizin“ als Überbegriff für eine Vielzahl
      von Verfahren außerhalb der konventionellen Medizin benutzt. Der Begriff umfasst sowohl mündlich und schriftlich überlieferte traditionelle Medizinsysteme aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt, als auch neu entwickelte unkonventionelle medizinische Verfahren.
      Die Naturheilkunde mit ihren klassischen Bereichen (Hydro-, Bewegungs-, Phyto-, Ernährungs- und Ordnungstherapie) stellt ebenso wie das traditionelle volksmedizinische Heilwissen eine Unterkategorie dar (Lindner 1997:335, Pschyrembel 2006: 193).
      Es handelt sich um eine Ablösung des Begriffes Alternativmedizin, welche signalisieren soll, dass die Methoden nicht als Alternativen zur etablierten Medizin angesehen werden sollten, sondern als Ergänzungen.
      Das entspricht zum einen den Gepflogenheiten der Patientinnen und Patienten bzw. Klientinnen und Klienten, die von sich aus konventionelle und komplementäre Methoden kombinieren (Jonas, Levin 1999:4) und unterstreicht zum anderen die Absichten vieler Anbieterinnen und Anbieter komplementärer Heilmethoden,
      die sich selbst nicht als Konkurrenz zur etablierten Biomedizin sehen, sondern an einer Zusammenarbeit mit ihr interessiert sind (Koch, Unger 1996:33). In Österreich wird zuweilen von Seiten der Ärzteschaft der Anspruch artikuliert, den Begriff Komplementärmedizin
      ausschließlich für ärztliche Tätigkeiten zu verwenden, was angesichts der Internationalität des Diskurses bei zugleich national verschiedenen Anwendungsbefugnissen etwas verwirrend sein kann.

       


      Gemeinsamkeiten komplementärmedizinischer Verfahren

      Angesichts des heterogenen Spektrums der komplementärmedizinischen/ komplementären und traditionellen Verfahren lassen diese sich schwer in ihrer Ganzheit vergleichend darstellen, schließlich stehen tradierte Verfahren wie Akupunktur,
      Ayurveda oder Yoga neben weitaus jüngeren Anwendungsformen wie der klassischen Homöopathie und spirituellen oder energe- tischen Methoden, die häufig eine Kombination aus Altem und Neuem, Fremdem und Eigenem darstellen.
      Dieser Vielfalt ist hinsichtlich der Beschreibung aber auch der Wirksamkeitsprüfung Rechnung zu tragen, grundlegende Gemeinsamkeiten werden häufig von den Anwenderinnen und Anwender selbst artikuliert.
      Was die Anwendung betrifft, so wird häufig darauf verwiesen, dass komplementäre Methoden in Hinblick auf den Zeitpunkt, zu dem sie eingesetzt werden, Gemeinsamkeiten aufweisen und aufgrund dessen auch nicht in Konkurrenz zur etablierten Biomedizin stehen.
      Sie werden nämlich dann aktiv, wenn die konventionellen Methoden nicht mehr oder noch nicht greifen: „So steht die Schulmedizin heute chronischen Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen meist ratlos gegenüber. Sind die Befunde in Ordnung gilt der Patient als gesund, was dieser logischerweise nicht nachvollziehen kann, da er sich noch keineswegs gesund fühlt.

      Gerade an diesem Punkt setzen die komplementären Methoden an, denn einen solchen Patienten mit Medikamenten von seinen Symptomen zu befreien ist genauso sinnlos, wie ihn überhaupt nicht zu behandeln“ (Koch, Unger 1996:33).

      Trotz der Vielzahl verschiedener Methoden, die auf unterschiedlichsten Denkansätzen und Konzepten basieren, wird eine Gemeinsamkeit immer wieder genannt:
      der individuelle Mensch, beziehungsweise dessen Körper und Geist/Seele, der in seiner Gesamtheit betrachtet wird. Es werden nicht die Symptome der Krankheit, sondern deren Ursachen behandelt (Thaler, Plank 2005: 122).
      Ob man diesem Anspruch tatsächlich in allen Fällen gerecht wird und auf welcher Ebene die dahinterliegenden Ursachen lokalisiert werden, muss je nach Methode überprüft werden, Ganzheitlichkeit und Individualität gehören jedenfalls zu den wichtigsten Schlagwörtern komplementärmedizinischer Ansätze.
      Die Suche nach den „wahren Ursachen“ entspricht psychosozialen aber auch spirituellen Aspekten des Krankseins und ist häufig im Sinne einer Bikausalität von Krankheiten zu sehen.

       


      Konsumentinnen und Konsumenten bzw. Anbieterinnen und Anbieter

      Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Gruppen den Begriff Komplementärmedizin oder komplementäre Heilmethoden für sich beanspruchen bzw.
      was die verschiedenen Agentin- nen und Agenten darunter verstehen.

      Von den Gepflogenheiten der Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten aus be-
      trachtet ist der Begriff Komplementärmedizin dem der Alternativmedizin vorzuziehen, denn es hat sich gezeigt, dass die Patientinnen und Patienten bzw. Klientinnen und Klienten die Methoden in den seltensten Fällen ausschließlich alternativ nutzen, der Großteil der Verfahren und Mittel wird zusätzlich angewandt (Jonas, Levin 1999:4).

      In Zusammenhang mit dem Begriff „komplementäre Methoden“ verweist Adensamer auf die explosionsartige Anwendung durch medizinische Laien und drückt dadurch aus, dass der Begriff nicht allein auf Anwendungen
      durch Ärztinnen und Ärzten beschränkt ist (Adensamer 2004:11). In der Praxis lässt sich feststellen, dass Medizinerinnen und Mediziner den Begriff “Komplementärmedizin” für sich beanspruchen (und damit z.B. die Zusatzausbildungen der Ärztekammer meinen), während Nicht-Medizinerinnen und Nicht-Mediziner eher von “komplementären Methoden” sprechen.
      Ein Beispiel für die Uneindeutigkeit der Zuordnung und ihre Abhängigkeit vom Betrachter ist z.B. die Homöopathie. Umfragen ergeben, dass sie in der Bevölkerung zu den beliebtesten Methoden gehört, es gibt aber nicht entsprechend viele homöopathisch arbeitende Ärzteinnen und Ärzte. Der Unterschied ergibt sich aus den verschiedenen Auffassungen von Homöopathie:
      grundsätzlich ist sie an eine ärztliche Behandlung gebunden, Laien verstehen darunter aber auch die selbständige Einnahme homöopathischer Mittel im Rahmen der Selbstversorgung, so konnte es zu diesen Umfrageergebnissen kommen (Adensamer 2004:13-14). Das An- gebot der Ärztinnen und Ärzte und die Inanspruchnahme in der Bevölkerung decken sich also nicht,
      der große Bereich, der offen bleibt, wird zum einen durch die Selbstversorgung und zum anderen durch Anbieterinnen und Anbieter außerhalb der Gesundheitsberufe abgedeckt.

      Schlussfolgerungen zum begrifflichen Dilemma

      Der Begriff Komplementärmedizin wird also von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren jeweils verschieden gebraucht, er ist dem Begriff Alternativmedizin insofern vorzuziehen, als er den Aspekt der Ergänzung betont, welcher den Gewohnheiten der Klientinnen und Klienten bzw.
      Patientinnen und Patienten besser entspricht und das Anliegen der verschiedenen Anbieterinnen und Anbieter deutlich macht, nicht in Konkurrenz zur etablierten Medizin zu stehen, sondern zusätzliche, unterstützende Maßnahmen zu treffen. Der Begriff wird im Allgemeinen Sprachgebrauch unabhängig von den Anbieterinnen und Anbieter als Überbegriff für alles,
      was abseits konventioneller Medizin besteht, verwendet. In Anbetracht dieses Umstandes spricht einiges dafür, diese Bezeichnung zu übernehmen und zugleich die Anwendungsbefugnisse der beteiligten Berufsgruppen mitzudenken. Diese beruflichen Befugnisse und Einschränkungen sollten als Kriterien zur Sicherheit und Seriosität in einem konkreten Fall anwendbar sein.
      Dies könnte bewerkstelligt werden, indem der Öffentlichkeit mehr Wissen darüber zur Verfügung gestellt wird, wo die Möglichkeiten, aber auch Grenzen von Anbieterinnen und Anbietern be- züglich einer bestimmten Methode liegen.

       


      Integrative Medizin

      Das NCCAM in den USA spricht von „Integrativer Medizin“, wenn konventionelle und CAM-Anwendungen in Kombination eingesetzt werden.
      Dabei wird betont, dass es sich um Formen der CAM handelt, deren Wirksamkeit und Sicherheit nach wissenschaftlichen Kriterien erwiesen ist (NCCAM 2007). Der Begriff „Integrative Medizin“ geht also weiter als der Begriff „Komplemen- tärmedizin“ – der ja auch eine gemeinsame Verwendung meint – weil er den Prozess der Integration in die
      konventionelle Biomedizin beschreibt und den Aspekt der Wirksamkeit und Sicherheit betont. Die Verwendung dieses Begriffes soll daher bereits eine Anerkennung bestimmter vormals nicht anerkannter komplementärmedizinischer Verfahren und Mittel nahe legen. Die Bezeichnung ist eng an die wissenschaftliche Forschungstätigkeit in dem Bereich gebunden und sollte nicht auf Praktiken und Mittel,
      deren Wirksamkeit und Sicherheit nicht nach wissenschaftlichen Kriterien nachgewiesen ist, ausgeweitet werden oder die Bezeichnungen alternative oder komplementäre Medizin/Verfahren einfach ersetzen.

       


      Ganzheitsmedizin/Holistische Medizin

      Dieser Begriff signalisiert so wie jener der „Integrativen Medizin“ die Bemühungen,
      Aspekte mit einzubeziehen, die eine umfassende Genesung ermöglichen sollen. Der Mensch als komplexes Wesen wird in den Mittelpunkt gestellt: „Unter Ganzheitsmedizin beziehungsweise ganzheitlicher Medizin versteht man Schulmedizin und Komplementärmedizin unter Einbeziehung der seelisch – geistigen Komponente.“ (Koch, Unger 1996:35) Der Pschyrembel für Naturheilkunde und alternative Heilverfahren sieht im Begriff Ganzheitsmedizin eine „umgangssprachliche Bezeichnung für eine Medizin, die sich um alle Bereiche des Menschen (insbesondere Körper, Geist und Seele) und seiner Umwelt bemüht […] und Subjektivität und Individualität [betont]; das biopsychosoziale Modell vom Menschen berücksichtigt auch persönliche Lebensgewohnheiten,
      Ideale und Wertvorstellungen“ (Pschyrembel 2006: 138). Es stellt sich natürlich die Frage, wie so ein umfassendes Konzept tatsächlich verwirklicht werden kann und ob eine einzelne Berufsgruppe oder Angehörige

      mehrerer Disziplinen an der Umsetzung dieses holistischen Anspruches arbeiten sollen und kön- nen. Eine erste Abgrenzung wird bereits im Pschyrembel getroffen, wenn etablierte Medizin- systeme oder Konzepte wie Ayurveda, Humoralpathologie, Anthroposophische Medizin,
      Traditionelle Chinesische Medizin etc., von „esoterische*n+ Spekulationen des New Age und spekulative[n] Übertragungen moderner Physik (z.B. Chaostheorie, Quantenphysik) auf das Gesundheits- und Krankheitsverständnis“ abgegrenzt werden (Pschyrembel 2006: 138). Hinter dem Begriff „Ganzheitsmedizin“ stehen wiederum Intentionen bestimmter Akteure.
      Der einen Prozess signalisierende Begriff soll nach Marktl

      • Signal für Integration von universitärer, naturwissenschaftlich ausgerichteter Medizin und Komplementärmedizin (Erfahrungsheilkunde)
        unter besonderer Berücksichtigung psychischer und geistiger Aspekte

      • Signal für die Behandlung von Kranken und nicht von Krankheiten

      • Signal für verstärkte Wahrnehmung und Erforschung komplexer und regulativer Prozesse des Organismus auf allen möglichen Erkenntnisebenen [sein M.N.] (Marktl 2004:19)

        Da es hierbei um die Behandlung von Kranken geht, die in Österreich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten ist, ist der Begriff im medizinischen Kontext zu verorten.

        Angesichts der Tatsache, dass jeder bisher genannte Begriff problematisch war, sei hier noch erwähnt, inwiefern der Begriff Ganzheitsmedizin aus medizinhistorischer Perspektive Makel aufweist.
        Zur Zeit des Dritten Reiches suchten die Vertreter der so genannten „biologischen Medizin“ bzw. der „Neuen Deutschen Heilkunde“ eine enge ideologische Bindung zum Regime und waren erfolgreich um dessen Unterstützung bemüht. Nach Kriegsende wurde dann von ebendiesen Personen eine neue Bezeichnung gesucht und in dem Wort „Ganzheitsmedizin“ auch gefunden.

        Bekannte Vertreter der Vollwertkost – Bewegung und der ganzheitlichen Sicht von Medizin wie Werner Kollath und Max Otto Brucker, deren Bücher noch in den 1980er Jahren neu aufgelegt wurden,
        sind eindeutig dem rechtsradikalen Lager zuzuordnen. An ihrem Beispiel zeigt sich, dass es nach 1945 keine Zäsur gab, Jütte spricht von „altem Wein in neuen Schläuchen“ (1996: 57), er gibt aber zu bedenken, dass diese Inhalte in der heutigen Ganzheitsmedizin keine Rolle mehr spielen, denn „die meisten Vertreter dieser Richtung dürften sich kaum bewusst sein,
        dass in diesem Fall die Begriffsgeschichte eindeutig belegt, wie sehr es nach 1945 nicht nur in diesem Bereich keinen Neuanfang, sondern erstaunliche Kontinuitäten gab. Heute ist der Terminus

        „Ganzheitsmedizin“ immer noch populär und stößt zweifellos bei der sogenannten „Schul- medizin“ eher auf Gegenliebe als der Begriff „Alternativmedizin“ (Jütte 1996: 59).

         


        Erfahrungsheilkunde

        Dieser Begriff ist eine „Sammelbezeichnung für verschiedene Verfahren der praktizierten Medizin, deren Inhalte und Aussagen mehr auf Erfahrung als auf naturwissenschaftlich anerkannter klinischer Evaluation und Grundlagen beruhen“ (Pschyrembel 2006:110).
        Es wird oft darauf hingewiesen, dass die Beobachtungen aus der Erfahrungsheilkunde wertvoll im täglichen Umgang mit Patientinnen und Patienten sind und möglicherweise noch nicht wissenschaftlich bewiesene Tatsachen vorwegnehmen: „Viele Behandlungsmethoden haben heute noch nicht allgemeine Anerkennung gefunden, da ihre Wirkung nicht immer
        objektiv naturwissenschaftlich beweisbar ist.

        Gemäß der Erfahrung zahlreicher Ärzte zeigen aber gerade solche Methoden Wirksamkeit und führen oft dort zu Erfolgen, wo die Schulmedizin ansteht.
        Da ihre Anwendung allein durch in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen begründbar und vertretbar ist, spricht man auch von „Er- fahrungsheilkunde“. Im Prinzip handelt es sich aber auch hier um komplementäre Methoden,

        welche allerdings – im Gegensatz zu anderen – nicht oder noch nicht beweisbar sind“ (Koch, Unger 1996:34).

        Der Begriff Erfahrungsheilkunde meint über die Beobachtungen im Praxisalltag hinaus generell die Art des Erkenntnisgewinns traditionellen heilkundlichen Wissens.
        Stehen hinter moderner natur- wissenschaftlich geprägter Medizin Experimente und wissenschaftliche Theorien, so stehen hinter tradiertem Heilwissen die Erfahrung und Überlieferung von Erklärungsmodellen, die vor der Herausbildung der modernen Medizin die Grundlagen der Heilkunde darstellten (z.B. Humoral- pathologie/Säftelehre).

         


        Traditionelle Medizin

        Die Bezeichnung „Traditionelle Medizin“, die sich auf viele unterschiedliche Medizinsysteme be- zieht, wird von Land zu Land verschieden gebraucht. TCM oder Ayurveda sind Beispiele für traditionelle Medizinsysteme in ihren Herkunftsländern.
        In Ländern, in denen die Biomedizin (auch etablierte oder konventionelle Medizin) die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sichert, werden diese jedoch eher in die große Gruppe der Komplementärmedizin/en eingereiht. Die WHO verwendet die Abkürzung CAM/TM,
        um das ganze Feld abzudecken (WHO:2002). Inwieweit man von einer „Traditionellen Medizin“ in Österreich oder Europa sprechen kann, was hier mit einzubeziehen wäre und was nicht, ist trotz aktueller Tendenzen, den Begriff

        „Traditionelle Europäische Medizin“ „Traditionelle Europäische Heilkunde“ oder „Abendländische Medizin“ zu forcieren, noch unklar und bedarf der wissenschaftlichen Untersuchung.
        Die unklare Definition von Tradition in Bezug auf die Anwenderinnen und Anwender ist in diesem Zusammenhang problematisch, denn es stellt sich die Frage, ob die traditionelle Medizin eine Volksmedizin ist, in der einfache Anwendungen und Rezepturen primär der Selbstversorgung dienen,
        oder ob sich der Begriff „Traditionelle (Europäische) Medizin“ auf historische Persönlichkeiten der Medizingeschichte beziehen soll, woraus folgt, dass sich die Tradition eher auf die europäische Geistesgeschichte bezieht.
        Hinzu kommt die noch zu behandelnde Frage inwieweit die bedeutenden Einflüsse aus dem außereuropäischen Raum Beachtung finden und welche Aspekte gegebenenfalls außer acht gelassen werden. Aus kulturanthropologischer Sicht meint der Begriff Tradition die Weitergabe eines Erfahrungswissens
        an nachfolgende Generationen, wobei ein gewisser Wandel in der Tradition eine Anpassung an aktuelle Gegebenheiten und Lebensumstände notwendig ist, um dieses Wissen als wertvolle Ressource weiterhin nutzen zu können. Konserva- tive Anschauungen bezüglich einer unveränderbaren Tradition werden hier von einem lebendigen Traditionsbegriff abgelöst,
        der das Handeln in den Blickpunkt rückt. In der Regel wird von mindes- tens drei Generationen ausgegangen, die ihr traditionelles Wissen anwenden und weitergeben, wobei mit Generation nicht nur Familiengenerationen, sondern auch andere Gemeinschaften wie religiöse Gruppierungen, Berufsgruppen, Institutionen usw. gemeint sind.

         


        Volksmedizin

        Die Volksmedizin umfasst ein breites Spektrum an überlieferten heilkundlichen Vorstellungen
        und Maßnahmen und schließt die Verwendung von pflanzlichen, tierischen und mineralischen Sub- stanzen sowie magisch-religiöse Praktiken mit ein. Charakteristisch für volksmedizinische Krank- heitsvorstellungen ist der Einfluss spiritueller Entitäten als grundlegende Ursache.
        Daraus ergibt sich die Bedeutung von Gegenzaubern, die Praxis des Besprechens, die Durchführung von Wallfahrten und die Verwendung von Amuletten. Die Brockhaus Enzyklopädie spricht nur bestimmten Aspekten der Volksmedizin eine Wirkung zu: „Einige der Heilverfahren der Volksmedizin sind noch

        heute geeignet, Befindlichkeitsstörungen und leichte Erkrankungen selbst zu behandeln oder andere therapeutische Maßnahmen zu unterstützen. Große Bedeutung besitzt die Verwendung pflanzlicher Drogen (Tees, Tinkturen, Extrakte u.a.)“. (Brockhaus Multimedial 1998 zit. nach Ausserer 2001).
        Die spirituelle oder magische Komponente wird meist unter den Schlagwörtern Aberglaube und Okkultismus zusammengefasst und in Arbeiten über Volksmedizin wenig be- achtet, ihre Bedeutung scheint aber nach wie vor groß zu sein. Gegenwärtig ist eine Renaissance magischer Weltbilder (Obrecht 1999, Martin 2005) und eine Revitalisierung und Rekonstruierung traditioneller
        Konzepte zur Erhaltung und Wiederherstellung einer umfassend verstandenen Gesundheit zu beobachten. Häufig geht es darum, einen Sinn hinter gesundheitlichen Problemen zu finden oder selbst Einfluss zu nehmen, um dem Gefühl des Ausgeliefertseins aktiv begegnen zu können.

        Kennzeichnend für die klassische Volksmedizin-Forschung der vergangenen Jahre in Österreich sind der historische Ansatz und der Zugang über Literatur- und Archivrecherchen (z.B. Grabner 1985).
        Erst in letzter Zeit wird wieder der Bestand an lebendigem lokalen Heilwissen in der Bevölkerung untersucht. Vorherrschend ist hierbei ein pharmakologischer Ansatz, der sich auf das Sammeln von Informationen zur Zusammensetzung und Verwendung von Heilmitteln und Heilpflanzen konzentriert (z.B. Bayer 1995, Egger 1992).
        Sozialwissenschaftliche Arbeiten widmen sich den magischreligiösen Aspekten und Weltbildern, wobei nicht nur christliche Motive, sondern auch neuheidnische oder (neo)schamanische Konzepte behandelt werden, was den Begriff Volksmedizin unpassend erscheinen lässt (z.B. Obrecht 1999, Moos 2000).
        Da immer wieder Einflüsse aus anderen Kulturen und moderne Bestandteile in schon Vorhandenes integriert werden, was Synkretismen hervorbringt, muss der Begriff Volksmedizin entstaubt werden und könnte als die Summe der von der Bevölkerung heute und in früheren Zeiten angewandten Diagnose – und Heilmethoden gesehen werden.
        Schließlich bleibt noch zu erwähnen, dass die Geschichte der Volksmedizin keineswegs unbelastet ist, so wie die Naturheilkunde, sollte auch die Volksmedizin Bestandteil der „Neuen Deutschen Heilkunst“ im Dritten Reich werden (Jütte 1996:45). Daher werden die Bezeichnungen „folk medicine“ und „medical folklore“ gelegentlich anstatt des deutschen Begriffes Volksmedizin gebraucht.
        Der negative Beigeschmack aus der deutschen Wissenschaftsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts soll so vermieden werden (Rudnitzki et al. 1977:4).


         

        Ethnomedizin/en

        Der Begriff Ethnomedizin bzw. Ethnomedizinen wird manchmal als Volksmedizin außereuropäischer Gesellschaften verstanden oder synonym zum Begriff Volksmedizin verwendet, um „die von der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Medizin des 19. und 20. Jahrhunderts freigebliebene Heilkunst aller Völker
        und Bevölkerungsgruppen, und zwar von der Kenntnisebene der Laien bis zu derjenigen der heilkundlichen Spezialisten, deren ärztliches Handeln ein hohes Maß an Professionalisierung aufweisen kann“ (Rudnitzki et al. 1977:4), zu benennen. „Ethnomedizin“ meint

        darüber hinaus einen bestimmten Forschungsansatz, er bezeichnet nach Prinz jene Forschungs- richtung, die sich mit kulturgebundenen Konzepten von Gesundheit und Krankheit beschäftigt. Sie untersucht universelle heilkundliche Vorgehensweisen durch den interkulturellen Vergleich und

        „untersucht die Vorstellungen und Aktivitäten des Menschen innerhalb seiner Umwelt, die mit seiner Konzeption von Gesundheit und Krankheit zusammenhängen“. (Prinz 2004:55) Während in der Volksmedizinforschung oft eine Beschreibung oder Aufzählung von traditionellen Heilmitteln und Verfahren im Vordergrund steht,
        geht die Ethnomedizin darüber hinaus und erarbeitet dahinterstehende Grundannahmen und Interpretationsmöglichkeiten.

        Ethnomedizinische Ansätze eignen sich natürlich auch zur Erforschung lokalen Heilwissens in Österreich, zumal die theoretischen Konzepte neue Erkenntnisse versprechen. Heilwissen aus anderen Gesellschaften kommt auch bei uns zur Anwendung und bildet zuweilen mit den Resten des eigenen traditionellen medizinischen Wissens neue hybride Formen.
        Spricht man also heute von einer Volksmedizin im Wortsinn, so sind zweierlei Dinge zu beachten: Fremdes wurde und wird integriert (Beispiel: Alpenschamanismus) und moderne Technik wird genutzt, um das mündlich und schriftlich überlieferte Wissen mit moderner Symbolik aufzuwerten (Beispiel: Divinationsmethoden im Internet, Chipkarten mit „heilender“ Information als moderne Amulette etc.)
        oder sogar mit neuen wissenschaftlichen oder zumindest wissenschaftlich anmutenden Theorien zu belegen (Quantenphysik, Chaostheorie, Morphogenetische Felder etc.).


         

        Traditionelle Medizin oder Volksmedizin?

        Zwischen den Termini „Traditionelle Medizin“ und „Volksmedizin“ besteht ein Unterschied.
        Zwar wird heute vielleicht auch wegen der Geschichte des Begriffes „Volksmedizin“ vermehrt von

        „Traditioneller Medizin“ gesprochen, aber diese Bezeichnung legt das Vorhandensein systema- tischer Zusammenhänge zumindest nahe.
        Seine bevorzugte Verwendung verdankt sich möglicherweise einem Zugewinn an symbolischem Kapital, schließlich spricht auch die WHO in ihrer

        „Traditional Medicine Strategy“ von Traditioneller Medizin (WHO 2002).

        Ein Unterschied zwischen „Traditioneller Medizin“ und „Volksmedizin“ kann auch in Bezug auf die beteiligten Personen gemacht werden, selbst wenn die Grenzen hier verschwimmen: „Volks- medizin“ (= „die Medizin des Volkes“) legt nahe, dass es um Wissen geht,
        das weniger von professionalisierten Gruppen angeboten wird, sondern vielmehr zur Selbstversorgung, zur Versorgung innerhalb der Familie oder engeren Gemeinschaften und fallweise zur Versorgung durch lokal bekannte „Experten“ angewendet wird. „Traditionelle Medizin“ wird hingegen vielmehr mit der Vorstellung von Medizinsystemen verbunden und schließt neben der Selbstversorgung und den traditionellen
        Heilerinnen und Heiler auch professionelle Gruppen ein, die mit einer kom- plexen Institutionalisierung und mit reglementierten Ausbildungen verbunden sein können. Diese Kriterien können in den beispielhaft zitierten asiatischen Medizinsystemen festgestellt werden.

        Für die „Traditionelle Europäische Medizin“, die gegenwärtig konstruiert und rekonstruiert wird und verschiedene Richtungen hervorbringt, stehen die Forschungsergebnisse noch aus. Gegen die Auffassung von zusammenhängenden Medizinsystemen im Allgemeinen spricht natürlich, dass die bekannten asiatischen Medizinen auch nicht ohne Widerspruch oder gar in
        sich und nach außen hin abgeschlossen sind, sie sind viel eher mit offenen Systemen zu vergleichen, die im Stande sind, von ihren paradigmatischen Grundannahmen her, Dinge zu integrieren. Ob von einer vergleichbaren europäischen Tradition ausgegangen werden kann, die in einem gewachsenen Zusammenhang Heilmittel, körperzentrierte Praktiken, Ernährung, Bewegung und spirituelle Aspekte bietet, bleibt im Moment noch offen.


         

        Naturheilkunde

        Der Begriff „Naturheilkunde“ wird zwar bei Übersetzungen und im alltäglichen Sprachgebrauch oft synonym zu Überbegriffen wie Komplementärmedizin, Alternativmedizin oder CAM verwendet,
        er ist aber durch bestimmte Merkmale klar definiert und Teil der Komplementärmedizin, auch wenn die systematischen Zusammenhänge der Naturheilkunde freilich eine Besonderheit darstellen.

        Die Naturheilkunde setzt sich aus der Anwendung von Naturheilverfahren und Naturheilmitteln zusammen. Wie der Name schon vermuten lässt, werden aus der Natur entstandene Kräfte und Substanzen eingesetzt, Behandlungen erfolgen durch den gezielten Einsatz von Licht, Luft, Wärme und Kälte, Wasser und Erde, Bewegung und Ruhe, Ernährung und Nahrungsenthaltung, Heilpflanzen,
        aber auch durch positive seelische Impulse. Naturheilverfahren sollen durch dosierte Entlastung oder Belastung die Selbstheilungskräfte des Menschen fördern (Hentschel, Schott 1997:1). Maßnahmen zur Schonung und Regulierung sollen den Organismus kräftigen, wobei es wichtig ist, die richtige Balance für die individuelle Patientin und den individuellen Patienten zu finden. Aufgrund der Diagnose muss festgestellt werden, wie viel natürlicher Reiz für die Patientin
        und den Patienten heilsam ist, die Reaktion wird genau beobachtet und es wird schrittweise eine systematische Wiederholung bzw. Intensivierung der Reize versucht, bis der Therapieerfolg länger andauert. Naturheilverfahren werden eher als Teil der Gesamtmedizin betrachtet (Koch, Unger 1996:32) und fallen zumindest Großteils in den Geltungsbereich der ärztlichen Tätigkeiten in Österreich. Zu den klassischen Naturheilverfahren zählen Hydrotherapie, Bewegungstherapie,
        Phytotherapie, Ordnungstherapie, Thermotherapie und Ernährungstherapie (Hentschel, Schott 1997: 2). Die klassischen Naturheilverfahren mit der hippokratischen Medizin als Grundlage werden außerdem mit neu eingeführten Verfahren verbunden, daraus ergibt sich eine Kombination aus klassischen Verfahren und solchen, bei denen vornehmlich Apparate eingesetzt werden, die eine Gemeinsamkeit aufweisen: sie sollen die individuellen, körpereigenen Ordnungs- und Heilkräfte anregen.
        Dieser umfassenden Definition zufolge schließen die Naturheilverfahren nach Koch und Unger folgende Methoden ein: „Akupunktur, Atemtherapie, Aus- und ableitende Heilverfahren, Balneo- und Klimatherapie, Bewegungstherapie, Elektroakupunktur nach Voll, Elektrotherapie, Entspannungstherapie, Ernährungstherapie, Hydro- und Balneotherapie, Massagetherapie, Manuelle Therapie, Mikrobiologische Therapie, Neuraltherapie, Ozontherapie, Phyto- therapie, Sauerstofftherapie, Thermographie,
        Ultraviolettbestrahlung des Blutes/Hämatogene Oxidationstherapie (HOT)“ (Koch, Unger 1996:32-33). Der Einsatz von Apparaten steht allerdings im Widerspruch zur Definition von Naturheilmitteln, die in der Naturheilkunde zentrale Bedeutung haben. Naturheilmittel sind „Substanzen, Stoffgruppen, Gegenstände, Zustände, Kräfte und Prozesse aus der natürlichen Umwelt, die möglichst unverändert zur Therapie eingesetzt werden;

        z.B. Heilquellen und -gase, Heilerden und -moore (Peloide), Nahrungsmittel und Heilpflanzen, Wärme und Kälte, klimatische Faktoren, mechanische Kräfte und motorische Abläufe“ (Pschyrembel 2006: 259).


         

        Sanfte Medizin

        Dieser Begriff soll auf die Sanftheit der komplementären Methoden im Gegensatz zu den „un- sanften“ Methoden der Schulmedizin und hier insbesondere zur Gabe nebenwirkungsreicher Medikamente hinweisen. Diese Auffassung, die vor allem die Sehnsucht der Patientinnen und Patienten bzw. Klientinnen und
        Klienten nach sanften Heilmethoden widerspiegelt, wurde jedoch massiver Kritik unterzogen, seit bekannt wurde, dass auch Methoden und Mittel der Komplemen- tärmedizin unerwünschte Nebenwirkungen haben können (Joss 2003) oder dass ihre Anwendung zur Folge haben kann, dass eine dringende medizinische Behandlung versäumt wird. Zudem ent- sprechen ethnomedizinische Anwendungen in ihren Herkunftsländern oft nicht der Vorstellung von der Sanftheit hiesiger Wellness-Anwendungen,
        sie können sogar unangenehm sein.

 


    1. Wichtige Schlüsselbegriffe und Unterkategorien

      Energiemedizin (energy medicine, energetische Verfahren)

      Der Begriff „Energiemedizin“ bzw. „energy medicine“ kam in den USA Mitte der 1980er auf und verdankt sich der verstärkten Auseinandersetzung mit nicht westlichen Medizinsystemen seit den 1970ern, als TCM, Ayurveda, Schamanismus usw. und mit ihnen die entsprechenden „Energie- konzepte“ in den Blickpunkt wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Interesses rückten.

      Mittlerweile geht der Begriff aber darüber hinaus und „fasst alle Methoden zusammen, die bekannte physikalische Felder, wie elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder, Schallwellen, mechanische Vibrationen oder Lichtquellen, benützen, und umfasst außerdem die feinstofflichen Felder, die der Physik noch unbekannt und größtenteils noch nicht messbar sind.“ (Bischof 2002:296)

      Energiefelder, welcher Art sie auch sein mögen, sollen den menschlichen Körper und die gesamte Umgebung durchdringen, ihre Beeinflussung steht im Zentrum der energetischen Verfahren. Die Wahrung der eigenen energetischen Balance wird als Grundlage für ein gesundes Leben gesehen, bei einem Verlust des Gleichgewichts soll es zu Befindlichkeitsstörungen und schließlich zu
      Krank- heiten kommen. Dieser Gedanke findet sich bereits in humoralpathologischen Vorstellungen wieder und entspricht generell den weit verbreiteten Lebenskraftkonzepten. Was heute unter dem Begriff Energiemedizin oder „energy medicine“ diskutiert wird und vor allem durch den Einsatz diverser Geräte sehr neu erscheint, ist zwar von der mehr oder weniger wissenschaftlichen Herangehensweise ihrer Vertreterinnen und Vertreter aus betrachtet ein junges Konzept, die Vorgeschichte reicht allerdings weit zurück.

      Die Frage nach der Art der „Energie“, ihrem Wesen und ihrer Beschaffenheit ist eine Kernfrage der „Energiemedizinforschung“. Vertreterinnen und Vertreter dieser Bewegung, die Wert auf eine wissenschaftlich-physikalische Terminologie legen und selbst meist Physiker oder Mediziner sind, versuchen neben ihrer Bezugnahme auf messbare Energien die umstrittenen subtilen Energien mit neuen Theorien aus der Wissenschaft zu erklären:
      „Meist handelt es sich um elektromagnetische, aber auch elektrische und magnetische Felder, Schallwellen, mechanische Vibrationen oder Lichtwellen. Mittlerweile besteht auch Einigkeit darüber, den wissenschaftlich noch wenig erforschten Bereich der Skalarwellen und sogar der Informationsfelder miteinzubeziehen.“ (Treugut, Doepp 2007:1) Diese Bezugnahme auf physikalische Größen ist oft verwirrend, da einerseits nicht klar ist, ob die Anwendung dieser Energien tatsächlich zur Diagnose und Behandlung komplexer gesundheitlicher Zustände geeignet ist und da andererseits
      offenbar immer wieder zwischen physikalisch nachgewiesenen und subtilen nicht messbaren, eher spirituellen Energien gewechselt wird. Anstatt von Energien zu sprechen, bevorzugen manche daher, wenn von Letzterem die Rede ist, den Begriff der „Information“ (Treugut, Doepp 2007:6). In Österreich gibt es mittlerweile das unreglementierte Gewerbe der Energetikerinnen und Energetiker, bei dem subtile Energien als Wirkfaktoren im Zentrum stehen, die Angehörigen dieses Gewerbes kommen weniger aus dem akademischen Umfeld, sondern sind eher dem medizinischen Laiensektor zuzurechnen.
      Sie bieten eine beinahe unüberschaubare Vielfalt an Methoden und Mitteln zum „energetischen Ausgleich“ an.


       

      New-Age “Therapien”

      Unter dem Sammelbegriff „New Age“ werden viele Denkweisen und Praktiken subsumiert, die

      sich religiöser und philosophischer Aspekte aus den verschiedensten Gebieten bedienen. So findet man Elemente aus dem Hinduismus, Christentum, Buddhismus, aus neuheidnischen Bewegungen und Bezüge zu diversen subtilen Energien. Die Heilsbewegungen im „New Age“ haben den Hinter- grund, dass eine neue Zeit herbeigesehnt wird, in der nach einer apokalyptischen „Reinigung“

      eine ideale Gesellschaft entstehen soll. Konkret wird von einer Zeitenwende gesprochen, ein Er- klärungsmodell bezieht sich darauf, dass das „Zeitalter des Wassermanns“ die „Ära der Fische“ ablösen soll bzw. bereits abgelöst hat. Ein rezenteres Modell betrifft das Auslaufen des „Maya – Kalenders“ im Jahre 2012, in diesem Jahr wird u.a. der Aufstieg der Erde auf eine neue

      „Schwingungsebene“ erwartet. Solche Vorstellungen dienen als Rahmen für diverse Methoden zur Erhöhung der eigenen „Energie“, womit auch positive Auswirkungen bei körperlichen Beschwerden verbunden werden, denn Heilung soll durch spirituelle Selbst- und Seinserfahrungen möglich werden. „Mind over matter“ ist ein wichtiger Grundsatz im New-Age-Denken: der

      Mensch soll die Fähigkeit entwickeln durch seine Einstellung und durch seinen Willen die Welt um ihn herum zu gestalten. Speziell Verfahren, bei denen Botschaften von Geistwesen eine Rolle spielen (Channeling, Engelsmeditationen), wobei heilende Kräfte freigesetzt werden sollen, und der Einsatz neuartiger subtiler Energien (freie Energien, Methoden zur Energetisierung von Wasser etc.) werden mit dem Gedanken einer bevorstehenden Zeitenwende verbunden.
      Viel- gelesene Bücher von spirituellen Medien tragen zur Popularität dieser Strömung bei. Die Bezeich- nung „New Age Therapien“ wird häufig synonym zum Begriff „Energy Medicine“ verwendet, wobei allerdings oft nicht darauf geachtet wird, ob die New Age Philosophie tatsächlich mit der entsprechenden energetischen Anwendung zusammenhängt. Aus diesem Grund eignet sich „New Age Therapien“ nicht als Überbegriff für die Vielzahl energetischer Methoden, zu denen ja auch die Anwendung traditioneller Konzepte aus dem Bereich der Ethnomedizinen (Qi, Prana, Mana,…) gezählt werden können.


       

      Geistheilung

      Die Begriffe „Geistheilung“ und „energetisches Heilen“ überschneiden sich häufig, da Geistheilerinnen und Geistheiler als Vermittlerinnen und Vermittler göttlicher oder kosmischer Kräfte dienen sollen, welche auch personifiziert werden können. Neben den Begriffen „mentales“ oder

      „geistiges Heilen“ und „geistig-energetisches Heilen“ sind die Bezeichnungen „spirituelles Heilen“ und „Fernheilen“ gebräuchlich. Eine breite Definition für das Geistheilen liefert Benor: „the intentional influence of one or more persons upon a living system without utilising known physical means of intervention“ (Benor 1992 zit. n. Bösch 2002: 511). Dieses weite Feld kann grob in zwei Gruppen eingeteilt werden:

      • Kontaktheilen mit physischem Kontakt, wie es beim Handauflegen der Fall ist

      • Fernheilen, z.B. Gebetsheilung und diverse traditionelle Praktiken, aber auch rezente Entwicklungen aus der Reihe der energetischen Methoden.

        Gerade das Fernheilen ist speziell in den USA zu einem wichtigen Studienfeld geworden, auch wenn Gebetsstudien viel Kritik auf sich ziehen, weil sie methodische Mängel aufweisen (Bösch 2002:514).


         

        Rituelles Heilen

        Heilrituale dienen der Sichtbarmachung innerer Prozesse und Konflikte und der Wiedereingliederung in die Gemeinschaft. Es ist wichtig Heilrituale nicht mit Alltagsritualen wie etwa dem Zähneputzen zu verwechseln, denn letzteres stellt eine alltägliche Routine her, während ein Heilritual eine besondere Situation schafft und neben festen Strukturen auch Raum für dynamische Prozesse lässt.
        Rituale dieser Art kennzeichnen Übergänge und haben eine dreiphasige Struktur, die der momentanen Lebenssituation einer Person entspricht:

      • Phase der Trennung – auf die Erkrankung einer Person folgt eine Separierung, sie ist nicht mehr in der Lage ihre Aufgaben in einer Gemeinschaft voll wahrzunehmen, ihre Welt ist in Unordnung geraten.

      • Liminalität – Phase des ungewissen Übergangs, die gewohnte Ordnung ist noch nicht wieder hergestellt. In dieser Phase ist der Einsatz von Symbolen äußerst wichtig, da sie komplexe innere Vorgänge nach außen hin sichtbar machen.

      • Wiedereingliederungsphase – wiederum helfen Symbole, die Ordnung wiederherzustellen und die Person wieder in die Gemeinschaft einzugliedern.

        Dieser Vergleich mit einer Erkrankung erstreckt sich freilich auf einen längeren Zeitraum, bei kon- kreten „therapeutischen Riten“ (Kremser 1999:372), die von Heilerinnen und Heilern durchgeführt werden, wird ein ritueller Rahmen geschaffen,
        in dem mehrere Teilhandlungen aufeinander folgen: Zunächst wird die Ursache des gesundheitlichen Problems ermittelt, indem verschiedene Divinationstechniken angewendet werden. Da die Ursache meist über den biomedizinischen Krankheitsbegriff hinaus moralische, soziale oder göttliche Dimensionen anspricht, ist die Divination als „Diagnoseform“ nicht mit einer klassischen Diagnose gleichzusetzen. Mit der Divination zur Ursache des Problems gelangt die Heilerin und der Heiler zugleich auch zu der Information, was im vorliegenden Fall zu tun ist. Danach folgt der therapeutische Prozess, wobei Opfer, Gebete,
        Tanz und andere Kulthandlungen stattfinden. Hier kommt die lokal bedeutsame symbolische Kommunikation (Farben, Gesten, Trommelsprache, Ritualgegenstände aller Art) und die Interaktion (psychodramatische Aufführungen, fingierte operative Eingriffe, etc.) zum Einsatz, außerdem spielen veränderte Wachbewusstseinszustände, die ein intensives Erleben der Situation ermöglichen, eine wichtige Rolle. Zu den Zielen von Heilritualen gehören die Reinigung als Befreiung von fremden, äußeren Einflüssen und der Akt der Versöhnung, die durch den Einsatz der kulturspezifischen Symbolik erreicht werden. Zum Abschluss eines Rituals treten die Teilneh-
        merinnen und Teilnehmer aus der besonderen Situation wieder heraus und in die gewohnte Welt ein, wobei meist eine gemeinsame Mahlzeit diesen Prozess einleitet. „Ziel all dieser Handlungen ist die Wiederherstellung des Gesundheitszustandes durch Reintegration und Resozialisierung des Patienten in eine ungestörte göttliche und soziale Ordnung. Aus diesem Grunde werden therapeutische Rituale gewöhnlich in Anwesenheit der Bezugspersonen des Kranken abgehalten, sei es in seinem natürlichen Umfeld oder an bestimmten heiligen Orten und Kultstätten“ (Kremser 1999:372)


         

        Symbolisches Heilen

        Der Terminus „symbolisches Heilen“ ist ein Oberbegriff für therapeutische Interventionen, die individuelle bzw. soziokulturelle Bedeutungssysteme aufgreifen. Die angesprochenen therapeu- tischen Interventionen, in denen Symbole zur Heilung eingesetzt werden, sind an sich sehr heterogen, die moderne westliche Psychotherapie und die psychosomatische Medizin bedient sich ihrer ebenso wie verschiedene rituelle, religiöse und schamanische Heilverfahren

        (Quekelberghe 1993:175). All diese Verfahren weisen gemeinsame Merkmale auf, die Rückschlüsse auf die Wirkfaktoren erlauben sollen. Nach Frank gibt es vier Grunddimensionen symbolischen Heilens:

        • Das therapeutische Bündnis: der Klient/Patient baut eine emotionale Beziehung zu einem Heiler/Arzt/Therapeuten auf und glaubt an dessen Kompetenz oder Heilkraft.

        • Das „healing setting“, in dem die Heiler/Klient-Begegnung stattfindet, unterscheidet sich deutlich von der Alltagssituation und enthält mehrere Symbole, die mit Heilkräften assoziiert werden. Wie diese Symbole beschaffen sind, ist vor allem kulturspezifisch.

        • Es braucht eine kognitive Konstruktion, die von beiden Seiten verstanden und akzeptiert wird. Dabei handelt es sich um Erklärungsmodelle, diagnostische Kriterien usw.

        • Von der kognitiven Konstruktion wird das Behandlungsverfahren oder das Ritual abgeleitet. Das Ziel ist es, die Gesundheit wiederherzustellen und die Patientin und den Patienten/die Klientin und den Klienten wieder in seine Gemeinschaft zu integrieren (Frank 1961 in Quekelberghe 1993:175)

        Das so genannte „Rumpelstilzchenprinzip“ als Merkmal des symbolischen Heilens hebt die Prozedur der Benennung im kulturellen Kontext hervor (Torrey 1972 in Quekelberghe 1993:175). Es ist also wichtig, zu einer sinnvollen „Diagnose“ für den/die Klienten/in als soziales Wesen,
        das in eine Kultur und damit in die Symbolik seiner/ihrer Umgebung eingebettet ist, zu kommen, um die Ordnung im Heilritual symbolisch wiederherstellen zu können. Diese vielleicht schwer nach- vollziehbare Argumentation wird durch die Ergebnisse aus der klinisch-psychologischen Stress- forschung untermauert, die im Falle des krankmachenden Distreß besagt, dass „alles, was das soziokulturelle Eingebundensein bedroht,
        zerstört bzw. alles, was trennt, isoliert, ausschließt, zurückweist [..] in der Regel Ängste, Spannungen, Schmerzen, Krankheiten *erzeugt+.“ (Quekelberghe 1993:177) Daraus erfolgt umgekehrt, dass Techniken, die das Gefühl des Eingebundenseins fördern, welches als ursprüngliches Erlebnis in Form der emotionalen Bindung zwischen Mutter und Säugling (bonding) ein Leben lang von Bedeutung ist, sich positiv auf die Gesundheit auswirken.
        Begründet wird dies wiederum mit den grundlegenden psychophysio- logischen Vorgängen beim „bonding“ und ihrer Auswirkung auf das immunoneuroendokrine Netzwerk (ebd.). Diese Zusammenhänge werden beim symbolischen Heilen in Ritualen genutzt, den kulturspezifischen Bedeutungsinhalten der aktivierten Symbole kommt eine besondere Be- deutung zu: „Nicht zuletzt durch die im Ritual ausgelösten, kräftigen Stöße von opioiden Neuro- peptiden, Melatonin,
        Oxytocin etc. bekommen die kulturellen Archetypen, Metaphern und Mythen einen hohen emotionalen, beruhigenden, mitunter stark beglückenden Heilungswert.“ (Quekelberghe 1993:178) Gegenwärtig ist in unserer Gesellschaft ein Bemühen festzustellen, alte Rituale wieder zu praktizieren bzw. Rituale aus anderen kulturellen Kontexten für die hiesigen Gegebenheiten und Bedürfnisse zu modifizieren und so einer häufig wahrgenommenen Ent- wurzelung und Isolierung zu begegnen.
        Es muss sich hierbei nicht speziell um Heilrituale in Krankheitsfällen handeln, das Begehen von Ritualen zu bestimmten Zeiten in der Natur (Jahreskreis- feste) findet ebenfalls großen Anklang und werden in diesem Sinne für die Gesunderhaltung gang allgemein für wichtig gehalten. Diese Entwicklungen sind als Antwort darauf zu sehen, dass das

        „bindende und verbindende symbolische Bezugssystem für die Entwicklung und Aufrecht- erhaltung einer kulturell gebundenen Identität […] sich nur noch mühsam vermitteln [lässt]. Wenn dies zutrifft, ist dann nicht verwunderlich, dass die Nachfrage nach synergetisierenden Therapien immer dringender gesucht wird. Gesucht werden symbolische Heilrituale, die den Menschen an sich selbst, an die Anderen,
        an sein durch und durch kulturelles Dasein, an seine Archetypen, Metaphern und Mythen wieder eng binden können. Mehr denn je wird symbo- lisches, ganzheitliches Heilen dringend benötigt in einer Zivilisation, die die „Bonding“ – Kräfte sträflich vernachlässigt.“ (Quekelberghe 1993:178)


 

    1. Konzepte und Grundlagen von komplementären und traditionellen Heilmethoden

      Obwohl im Allgemeinen auf wissenschaftstheoretische Gegensätze zwischen Komplementär- medizin und Biomedizin hingewiesen wird, gibt es komplementäre Heilmethoden, wie die Gabe von Nahrungsergänzungsmitteln und Phytopharmaka, die sich mehr an konventionelle Konzepte halten als andere Methoden, sie sind daher auch leichter zu erforschen. Daraus ergibt sich ein entsprechender Forschungsschwerpunkt in den
      Zentren zur wissenschaftlichen Erforschung der Komplementärmedizin mithilfe klinischer Studien. Das klassische Studiendesign kommt jedoch an seine Grenzen, wenn das Erklärungsmodell, das einer komplementärmedizinischen Methode zu- grunde liegt, auf völlig anderen paradigmatischen Grundannahmen fußt. Komplementäre oder ganzheitliche Ansätze beinhalten oft eine andere Auffassung von Krankheit und Gesundheit und inkludieren Aspekte, die in der Biomedizin keine Bedeutung haben.
      Es stellt sich die Frage, ob derart divergierende Ansätze grundsätzlich miteinander vereint werden können, auch wenn dies in der Praxis bereits geschieht. Offen bleibt bis dato auch die Frage, ob die Ansprüche komple- mentärer oder ganzheitlicher Ansätze in unserer Gesellschaft auch tatsächlich verwirklicht werden können. So verlangen manche Konzepte eine andere Sicht auf Gesundheit und Genesung, sind langwierig und prozessorientiert oder verlangen den Patientinnen und Patienten/Klientinnen
      und Klienten mehr Eigeninitiative ab, als sie gewohnt sind. Gewünscht wird auch in der Komple- mentärmedizin häufig schnelle, effektive Heilung und wie ein Blick auf das breite Angebot offen- bart, gibt es entsprechende Mischformen aus ganzheitlichem Anspruch und schneller, einfacher Behandlung. Generell gibt es aber einige Grundsätze, die zumindest postuliert werden und die Komplementärmedizin einen. Bevor im Folgenden auf diese Grundsätze eingegangen wird, wird noch ein Blick auf erkenntnistheoretische Grundlagen geworfen,
      damit die allseits bekannten Schlagwörter der Komplementärmedizin wie Ganzheitlichkeit, Individualität, Prozessorientiertheit etc. gedanklich besser eingeordnet werden können.


       

      Signaturenlehre

      Auf analogem Denken beruht neben dem Einsatz magischer Praktiken die weltweit verbreitete Signaturenlehre, wonach äußere Merkmale von Pflanzen und Stoffen darauf schließen lassen, wo und wie sie eingesetzt werden sollen. Hinter der Signaturenlehre steht der Grundsatz makro- und mikrokosmischer Entsprechungen,
      so symbolisiert eine Walnuss aufgrund ihres Aussehens die Form des Gehirns und soll deshalb gut für die Denkfähigkeit sein. Andere Beispiele wären die Verwendung von Lungenkraut bei Krankheiten der Lunge oder die Annahme, dass rote Obst- und Gemüsesäfte die Blutbildung anregen. Analogiedenken wird aber auch in Bezug auf die Farb- gebung von Arzneimitteln eingesetzt, so steht „Rot“ für Herz und Kreislauf oder „Blau“ für Beruhi- gung und Schlaf (Prinz 2004:57).
      Die Entsprechungen gehen über äußerliche Merkmale hinaus und werden auch mit kosmischen Qualitäten, Geschmack, Struktur, Planeten und Elementen in Ver- bindung gebracht, so dass ganze Systeme von Entsprechungen entstehen. In Europa werden solche Entsprechungssysteme oft auf Paracelsus zurückgeführt und heute wieder revitalisiert, ein anderes Beispiel für solche Systeme ist das Werk von Hildegard von Bingen. Asiatische und andere traditionelle Medizinsysteme aus dem außereuropäischen Raum weisen ganz ähnliche Systeme auf,
      können aber wegen regionaler Besonderheiten nicht einfach übernommen werden, daher

      wird heute versucht auf europäische Konzepte zurückzugreifen. Entsprechungen spielen übrigens auch in der Anthroposophie, Homöopathie, Steinheilkunde usw. eine wichtige Rolle.


       

      Die Vereinbarkeit scheinbar entgegengesetzter Denkstile: Bikausalität

      Magisches Denken oder Analogiedenken muss naturwissenschaftlich kausales Denken nicht aus- schließen, denn magische Vorstellungen können zusätzliche und tiefergehende Begründungen für Ereignisse liefern, deren Ablauf logisch erklärt werden kann. Es handelt sich um das weit ver- breitete Modell der Bikausalität von Erkrankungen und Unfällen. Dazu ein Beispiel aus der Forschungsgeschichte der Ethnomedizin:
      Der britische Ethnologe Evans-Pritchard berichtet von einer Beobachtung im Rahmen seiner Feldforschung bei den Azande, einer zentralafrikanischen Ethnie. Ein junger Mann stieß sich mitten auf einem Buschpfad den Fuß an einem Baumstumpf und trug eine Wunde davon, die sich entzündete. Während Evans-Pritchard das Ereignis als zu- fälliges Missgeschick interpretierte und es auf die Unachtsamkeit des Jungen zurückführte, glaubte dieser an Hexerei. Er bestritt Evans-Pritchards Argument nicht,
      war aber der Meinung, er hätte den Baumstumpf gesehen, wenn er nicht behext worden wäre. Außerdem verheilte die Wunde sehr langsam, was für den Jungen ein weiteres Indiz für die dahinterliegende magische Ursache war. Anhand mehrerer Beispiele und Gespräche fand Evans-Pritchard heraus, dass die Azande die Existenz von Phänomenen und ihre Ursachen nicht allein auf magische Vorgänge zurückführten. Vielmehr zogen sie die Hexerei zur Erklärung besonderer Umstände in einer Kausalkette heran,
      die eine Person mit ungünstigen (Natur)Ereignissen in Verbindung brachten (Evans-Pritchard 1978:62-64). Bikausale Erklärungen spielen auch in unserer Gesellschaft eine Rolle. Magie kann herangezogen werden, um Zufälle zu erklären und Sinn zu stiften. Magisches Denken ist alles andere als irrelevant in unserer Gesellschaft, das Aufkommen der vielen Neo- Schamanen und „New-Age-Therapien“ zeigt, dass die Wiederverzauberung der industrialisierten Welt keine leere Phrase ist und auch in Bezug auf Gesundheit
      aus Sicht der Anwenderinnen und Anwender entsprechender Methoden von Bedeutung ist.


       

      Selbstheilungskräfte

      Sehr oft soll durch ausgleichende, stärkende Maßnahmen ein natürlicher Heilungsprozess in Gang gesetzt werden. Humoralpathologische Vorstellungen, die von einem Ungleichgewicht der

      „Körpersäfte“ als Krankheitsursachen ausgehen, werden häufig damit in Verbindung gebracht. Welche Faktoren zu einem Ungleichgewicht führen, ist unterschiedlich, es kann sich um physika- lische und biologische Ursachen, aber auch um moralische oder soziale Gründe oder ein Zusam- menspiel dieser Faktoren handeln. Selbstheilungskräfte sind aus der Sicht der Anwenderinnen und Anwender jedoch nicht immer charakteristisch für komplementäre oder traditionelle Heil- methoden.
      Geistheilung im Sinne einer Bezugnahme auf überirdische Wesen wie Engel oder Gott/Götter können – sofern sie nicht in einem psychologischen Erklärungsmodell als Aspekte des eigenen Unterbewusstseins interpretiert werden – den Leidenden von außen Heilung zuteil werden lassen. Es empfiehlt sich daher eine Unterscheidung in Heilungen durch Selbstheilungs- kräfte (Heilung von innen) und in Heilungen durch das Einwirken fremder, meist göttlicher, aber vielleicht auch nur pharmakologisch begründeter Heilkräfte (Heilung von außen).
      Gelegentlich werden beide Modelle verquickt, indem der Mensch als Teil der ihn umgebenden Umwelt be- griffen wird.


       

      Ursachen statt Symptome bekämpfen

      Eine oft formulierte Kritik an der Biomedizin besagt, dass sie nur Symptome bekämpft und unter- drückt und die dahinterliegenden Ursachen nicht berücksichtigt, eine nachhaltige Lösung des Problems soll daher nicht möglich sein.
      In komplementärmedizinischen Ansätzen hingegen sollen die Symptome den Weg zu einer vollständigen Heilung zeigen, daher werden sie nicht unter- drückt, sondern gelenkt und im Hinblick auf ihre Häufigkeit, Dauer und Heftigkeit beobachtet. Da- raus werden Rückschlüsse auf mögliche tiefere Probleme geschlossen. Es stellt sich allerdings die Frage inwieweit im Sinne einer ganzheitlichen Behandlung abgesehen von systematischen körper- lichen Zusammenhängen psychische, soziale und spirituelle Faktoren miteinbezogen werden.

      Letztere werden oft im Sinne einer Bikausalität zur Erklärung herangezogen.


       

      Individualität

      Die Individualität und Subjektivität in Bezug auf Krankheitsvorstellungen und Behandlungsansätze komplementärer Methoden bringt es mit sich, dass kaum auf statistische Aussagen zu Krank- heiten zurückgegriffen werden kann. Auch Erfolge lassen sich schwer statistisch erheben, da das subjektive Ergebnis einer Behandlung und nicht objektiv messbare Daten im Zentrum stehen, manchmal geht es auch “nur” um einen anderen Umgang mit einer Krankheit, also das subjektive Erleben des Krankseins.
      Der Gegensatz Subjektivität und Objektivität offenbart ein besonders schwieriges, paradoxes Problem, da ja trotz individueller Behandlung gewisse allgemeine Struk- turen wie Konstitutionstypen und Heilmittelklassifikationen oder Verfahrensmuster in tradi- tionellen Heilkunden bestehen. Eine Möglichkeit diesen Widerspruch aufzulösen mag sein, anzu- erkennen, dass es sich um komplexere Typologien handelt, die dadurch im Vergleich zur Bio- medizin eine individuellere “Diagnose” und “Behandlung” erlaubt.
      Ein anderer Faktor, der bedacht werden sollte, ist der Zeitfaktor, die komplementären Therapieformen sind oft prozessorientiert und können daher auf das Individuum eingestellt werden. Der Anspruch der Individualität wird freilich nicht immer erfüllt, auch die Kräuterheilkunde beachtet den konstitutionellen Hintergrund kaum, wer einen Kamillentee kauft, ermittelt üblicherweise nicht, ob dieser aufgrund spezieller Kriterien tatsächlich zu einem passt (Fulder 2005:6).


       

      Prozessorientiertheit

      Wie schon erwähnt, unterscheidet sich die Auffassung von Krankheit und Gesundheit bei dem komplementären Methoden üblicherweise von jener der Biomedizin, man spricht von Krank- sein/Leiden und Wohlbefinden. Beliebt ist in diesem Zusammenhang die Anekdote von den klassi- schen chinesischen Ärzten, die dafür bezahlt wurden, dass ihre Patientinnen und Patienten gesund blieben.
      Diesen Anspruch haben viele Anbieterinnen und Anbieter komplementärer Methoden abseits der anerkannten Gesundheitsberufe; da ihnen das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten untersagt ist, betonen sie ihre Absicht in der allgemeinen Prävention tätig zu werden. Dem kommen komplementärmedizinische (energetische, humoralpathologische) Konzepte entgegen, die ein gesundheitsgefährdendes Ungleichgewicht lange vor dem Sichtbar- werden durch eine Krankheit feststellen bzw. subjektiv erlebte Befindlichkeitsstörungen in Angriff nehmen. Was die Wiedererlangung der Gesundheit im
      Sinne des Wohlbefindens anbelangt, so wird die Anwendung solange fortgesetzt, bis sich die Patientin und der Patient/die Klientin und der Klient gesund fühlt (Fulder 2005:7).


       

      Holismus

      Ein ganzheitlicher Ansatz in Diagnose und Behandlung ist für die meisten komplementär- medizinischen Methoden zentral und wird dem reduktionistischen und sehr spezialisierten bio- medizinischen Modell gegenübergestellt. Zu beachten ist hier, ob die Rede von einem Medizin- system, von komplexen Behandlungsformen mit mehreren Dimensionen oder von einzelnen Methoden ist.
      Da Ganzheitlichkeit zu einem sehr positiv bewerteten Schlagwort geworden ist, das verschieden verstanden und interpretiert wird und da in Folge dessen die postulierte Ganzheit- lichkeit häufig ein Lippenbekenntnis bleibt, sollte untersucht werden, ob das Versprechen tat- sächlich eingelöst wird bzw. werden kann. Was als ganzheitlich betrachtet wird, ist je nach Ansatz verschieden. Damit kann gemeint sein, dass neben den körperlichen auch die psychischen Aspekte einer Erkrankung mit einbezogen werden und es können darüber hinaus auch noch soziale Aspekte berücksichtigt werden.
      Spiritualität als Teil einer ganzheitlichen Auffassung von Gesundheit wird gelegentlich auch genannt, diese Sichtweise stößt aber zum Teil auf wenig Gegenliebe, was angesichts der Geschichte der Medizin, in deren Verlauf die Loslösung vom Glauben ja eine wichtige Bedingung für ihre Weiterentwicklung war, nachvollziehbar wird. Es zeichnet sich jedoch durch die begriffliche Unterscheidung von Religion als soziales Konstrukt und von Spiritualität als individuelles Erleben eine Neubewertung und Integrationsmöglichkeit ab, was am Aufkommen einer „Spirituellen Psychotherapie“ erkennbar ist.


 

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Die Informationen in den Bereichen Gesundheitsberufe und Begriffsdeffinitionen wurden inform zweier PDF Dokumente zur Verfügung gestellt vom Ministerium für Frauen und Gesundheit.

Herzlichen Dank auch an einige unsrer Mitglieder wie Herrn Engelbert Hammerschmidt die uns bei den Deffinitionen im Bereich Behandlungsmethoden behilflich waren.